WertePost – Ressourcenbilanzierung
10. Mai 2021WertePost – Wertesensorium entwickeln
30. Juni 2021Lückenhafte und defizitäre Bilanzen
Die klassische Bilanz weist Lücken auf. Sie vermittelt zum Teil unrealistische fragmentierte Vorstellungen und Bilder eines Unternehmens. Das liegt in erster Linie daran, dass Bilanzen vollständig sein sollten, diesem Anspruch aber nicht gerecht werden. Als reine Finanzbilanz spart sie essentielle und relevante Bereiche einer unternehmerischen Wirklichkeit aus. Würde sie soziale, ökologische, nachhaltige Faktoren ebenfalls berücksichtigen und buchen, verhielten sich manche Unternehmen anders. Auch die Außenwirkung wäre eine andere. So wird aus der Lücke schnell eine Krücke, im weiteren Verlauf strauchelt ein Unternehmen, stürzt, und in letzter Konsequenz bleibt dann oft nur die Insolvenz.
Bilanzversagen, hausgemacht
Hier kann von einem Bilanzversagen gesprochen werden. Das scheint wie ein neues Krankheitsbild, was es in gewisser Weise auch ist. Nach dem Herzversagen hört das Herz auf zu schlagen und der Tod tritt ein. Insolvenzgründe sind mannigfaltig. Der ehemalige DAX Konzern Wirecard hat uns diesbezüglich gelehrt, wie das im schlechten Sinne ablaufen kann. Nicht die Bilanz hat versagt, sondern die bewusst falsch eingestellten Aktiva und Passiva. In so einem Fall haben nicht nur die Aktionäre das Nachsehen, sondern auch Mitarbeiter und Lieferanten. Ein Unternehmen, das in der erforderlichen Vielfalt und vollständig sämtliche relevanten Unternehmenswerte bucht und bilanziert, bietet weniger Schlupflöcher für kriminelles Handeln.
Defizite minimieren
Die traditionelle Bilanz ist den dynamischen Anforderungen der Gegenwart in Bezug auf Agilität, Nachhaltigkeit, Erkenntnis/Entwicklung, Zufriedenheit, Maßhalten, Resilienz und Identifikation wenig gewachsen. Viele der unternehmerischen Abläufe geschehen jenseits der Buchhaltung und Bilanzierung, versteckt oder externalisiert. Wir können diese Prozesse sichtbar machen, damit sie buchbar, klar und nachvollziehbar werden. In der Folge entsteht buchstäblich eine Wert-„Schätzung“ . Hierfür ist ein werthaltiges und verlässliches neues oder erweitertes Bilanzsystem erforderlich.
Mangelnde Wertschätzung der Ressourcen
Die Grundzüge der heutigen Bilanzierungsform wurde zu einer Zeit festgelegt, als die Endlichkeit der weltweiten Ressourcen noch nicht wie heute im Fokus der Wahrnehmung stand. Ein Ausdruck dafür ist, dass wir natürliche Ressourcen als Verbrauchsmaterial und Ausgabe verbuchen.
Ein weiteres Beispiel für ungenaues Bilanzieren sind die fälschlicherweise als Humankapital bezeichneten Fähigkeiten der Mitarbeiter. Streng genommen ist schon die Nicht- oder Falschverbuchung der Arbeitsleistung ein Manko.
Fragwürdiger Begriff von unternehmerischer Verantwortung
Verantwortung für und von Unternehmen muss zukünftig aus einer Bilanz ersichtlich sein. Die Anstrengungen zum Beispiel den Grundsätzen der „Circular Economy“ gerecht zu werden, tauchen zumeist nur in den Aufwendungen auf. Sie werden nicht auf die Rohstoffe selbst gebucht und somit als werterhaltende Maßnahmen bewertet. Die Rückführung von Rohstoffen in einen Kreislauf haben jedoch investiven Charakter und sind damit vermögensbildend oder -erhaltend. Wir erklären Maschinen und Gebäude als Anlagen im Vermögen. Wir übersehen dabei, dass es auch noch andere Vermögensarten gibt. Solche, die auf natürlichen, menschlichen und künstlichen Ressourcen basieren. Mögliche daraus resultierende Erträge werden ebenfalls ohne Kontext gebucht.
Büchse der Pandora
Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass wir eine Büchse der Pandora geschaffen und geöffnet haben: Daten, Informationen und Prozesse. Diese finden sich bis heute in keiner Bilanz. Mit dem Begriff „Intangible Assets“ und der Festlegung, diese nicht zu bilanzieren, konnte sich eine Praxis etablieren, die heute überholt sein dürfte. Durch die IFRS Standards ist es in der internationalen Bilanzierung untersagt, Intangibles zu bilanzieren. In Deutschland wäre diese Vorgehensweise jedoch möglich. In der Folge würden Vermögenswerte in einer ganz anderen Größenordnung offensichtlich. Schon der Wert von Kundendaten oder MDM ist immens, taucht bisher aber in keiner Bilanz auf der Aktivseite auf. Noch schlüpfen viele Digitalkonzerne durch das großmaschige Netz der Besteuerung. Das wird hoffentlich bald ein Ende finden und die Daten – Werte finden wir in der Bilanz im Anlagevermögen.
Vollständig-, Richtigkeit und Wahrheitstreue
Das Ethos der Gemeinde aller bilanzpflichtigen Unternehmen und Organisationen in der Bilanz umzusetzen wird keiner unter der Prämisse einer integralen Bilanz gerecht. Die bisher ausgesparten Werte werden, wenn überhaupt in Reporting Systemen oder im Bilanzanhang behandelt. (Corporate Social Responsibility CSR, Sustainability Reporting, Gemeinwohlökonomie, Integrated Reporting und GRI) Damit sind diese in der Bilanz tendziell als unbedeutende Positionen deklariert. Das Europäisches Parlament hatte 2017 versucht, diese Lücke zu schließen und ein Gesetz erlassen. Dies sieht vor, dass Unternehmen ab einer Größe von 500 Mitarbeitenden auch die nicht finanziellen Informationen im Lagebericht der Bilanz veröffentlichen müssen. Es wird damit bewusst unterlassen, die relevanten Unternehmenswerte mit realen Buchungen zu erfassen und transparent zu machen.
Ebenfalls grundlegend ist der Ansatz, möglichst viele Aspekte der unternehmerischen Wirklichkeit abzubilden. Somit werden Wertentwicklungen identifiziert und richtig in die Prozesse der Buchhaltung und Bilanzierung aufgenommen. Die Wertebilanz erfasst nun viel vollständiger die Wirklichkeit des Unternehmens als zuvor. Das ist effektiver Selbstschutz vor unternehmerischer Illusion.
Wertebilanz – Werte nachhaltig bilanzieren für eine zukunftsfähige Ökonomie
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